Was die deutsche Konsenskultur anrichtet

Mit ihrer Debattenkultur sind uns die Briten weit voraus. Die schlechte Bildungspolitik zeigt die Tragödie fortgesetzten Wegschauens.

Am Beispiel der in Deutschland fortgesetzt scheiternden Integration von Schülern aus bildungsfernen Familien lässt sich gut zeigen, welches Unheil die deutsche Konsenskultur anrichten kann. Nun ist Konsens nicht immer schlecht, wenn man ihn als Kompromiss nach offener, auch streitbarer Debatte versteht. Doch die hierzulande übliche Variante beruht eher auf dem Verschleiern von Problemen. Aus Bequemlichkeit (nichts anderes ist ja Konfliktscheu) werden Mißstände unter dem Deckmantel politischer Korrektheit hinwegdefiniert.

So bietet die politische Korrektheit, die verbietet, Unterschiede zwischen Menschen anzusprechen, heute eine wohlfeile Ausrede, um unerwünschte Situationen auszublenden, die unser Staat regeln müsste, die zumindest die öffentlich-rechtlichen Medien aufgreifen müssten und die wir als Wähler, als Gesellschaft, dringend im Fokus halten müssten.

In ihrer Buchbesprechung zu Ingrid Freimuths Buch „Lehrer über dem Limit“ zeigt Heike Schmoll (FAZ, 15. Mai 2018, S. 6) das drastische Politikversagen und die gesellschaftliche Heuchelei, die mit Freimuths Darstellung illustriert sind: Wie die Autorin sich als Lehrerin nicht einmal traute, mit Freunden über ihre  Erfahrungen an einer Hauptschule zu sprechen, weil ihre Äußerungen stets vorschnell als rassistisch oder ausländerfeindlich deklassiert wurden.

Das Wegschauen und Nicht-Wahrhabenwollen hat in Deutschland ungute Tradition. Die Probleme, die durch politische Korrektheit totgeschwiegen werden, wachsen in ihrem Fahrwasser fröhlich weiter. Was ist die Ursache für das hartnäckige Nicht-Wissenwollen? Bequemlichkeit und Denkfaulheit in Politik und Gesellschaft stehen an erster Stelle – wer ein Problem ignoriert, muss sich ja um seine Lösung keine Sorgen machen, geschweige denn Arbeit investieren.

Wann finden unsere Medien den Mut, diese Blindheit der Politik anzuprangern, damit durch eine offene Debattenkultur Mißstände und ihre Lösungsmöglichkeiten diskutiert werden können? Die FAZ ist für mich eine rühmliche Ausnahme, wird aber in der breiten Bevölkerung nicht ausreichend wahrgenommen.

Nicht sehen wollen, was ist – so hat ein kluger Mann die politische Korrektheit charakterisiert – das ist das Grundübel einer materiell weitgehend saturierten Gesellschaft, die die Abgehängten am liebsten hinwegdefiniert. Die Abschaffung der Hauptschulen war ein obrigkeitlicher Schildbürgerstreich erster Güte, wenn man sieht und liest, wie seither die Probleme an Schulen eskaliert sind. Ein Brandbrief von Lehrern folgt dem nächsten – und alles verläuft zuverlässig im Sande. Natürlich waren nie die Schulformen ursächlich für Verhalten und Lernbereitschaft der Kinder, sondern die Elternhäuser. Doch dies zu sagen, wagt kaum ein Politiker, hieße es doch, Unterschiede anzusprechen und Elternverantwortung einzufordern. Da ist noch viel Luft nach oben…

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