Matchball für die Verhaltensforschung

Die biologische Verhaltensforschung (Ethologie), etabliert durch Konrad Lorenz, Niko Tinbergen, Irenäus Eibl-Eibesfeld, um nur einige wissenschaftliche Größen dieser Disziplin zu nennen, ist seit den 80er Jahren ganz zu Unrecht aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Was sicher ein Gutteil des intellektuellen und medialen Mainstreams diesem Wissenschaftszweig sehr übel genommen hat, waren die schlüssigen Erklärungsmuster, die die Ethologie nicht nur für tierisches, sondern auch für menschliches Verhalten bietet. Es ging wohl so Manchem gegen den Strich, dass seine protzigen Autokäufe, seine peinliche Blondinenvorliebe im Greisenalter oder sein lautes und prahlerisches Auftreten von biologischen Verhaltensforschern kühl in eine Reihe mit dem Balzverhalten von Stichlingen bis Hirschen gestellt wurde, Vergleiche mit Gorillas („Silberrücken“) inklusive.

Die Erkenntnisse über die instinkthafte Getriebenheit des Menschen zählen zu den „Freudschen Kränkungen“, die viele Menschen am liebsten mit Verdrängung beantworten. Dazu gehört auch das Nicht-wahrhaben-Wollen der engen Verwandtschaft der Spezies Mensch mit der Spezies Affe.

Doch die Ethologie hat für menschliches Verhalten eine Vielzahl an Mustern und Antrieben darlegen können, nicht nur beim Paarungsverhalten, sondern auch beim Aggressionsverhalten. Was heute die Welt so erschüttert und vollkommen überrascht hat, wie unsere Politiker und Wirtschaftslenker nicht müde werden zu betonen, Putins Angriff auf ein friedliches Nachbarland, könnte die Ethologie ganz leicht erklären. Sie hätte ihn womöglich vorhersagen können (aber gibt es noch Verhaltensforscher in der öffentlichen Wahrnehmung?). Aus ethologischer Sicht war Putins Krieg absehbar, denn: Was war kurz vorher geschehen? Man hatte Russland bei den Olympischen Winterspielen wieder einmal ausgebremst, seine Athleten traten nur unter der Flagge des russischen olympischen Komitees auf – keine Nationalhymne, wenig patriotisches Brimborium für Russland. Aus guten Gründen, würden Sportler und Sportfunktionäre sagen.

Doch was ist seit langem eine der wichtigsten Funktionen internationaler Sportereignisse? Ja, genau, es geht um die „Ventilfunktion“ des Sports. Wo früher grölende Horden aufeinander einstürmten und -prügelten, um es dem Feind so richtig zu zeigen, da sind seit dem 20. Jahrhundert in der Regel nur Fußballmannschaften oder andere Athleten vor gut gefüllten Publikumsrängen nötig. Der lautstarke Wettkampf wird im Stadion ausgetragen. Im Großen und Ganzen hat der Sport, besonders der Mannschaftssport, ganz besonders der (Männer-)Fußballsport das übernommen, was unseren Vorfahren das Keuleschwingen und Den-Gegner-zu-Boden-Brüllen gewesen sein muss. Bei einem guten Fussballspiel schreien sich die Fans im Idealfall die Seele aus dem Hals und gehen anschließend zufrieden, weil abreagiert, nach Hause. Und für diktatorische Regimes war ein gutes Abschneiden der landeseigenen Sportler stets ein ganz wichtiger Aspekt ihres Stolzes und Selbstbildes. Nun spielt die russische Fussball-Nationalmannschaft leider keine nennenswerte Rolle im internationalen Fussball. Und irgendein Gremium hat tragischerweise Putins Russland die Teilnahme am großen Renommierwettbewerb Olympia vergrätzt. Was ist die Folge? Bingo! Der Mann macht Krieg, weil sein Ego nun nicht mehr durch den Sporterfolg „seiner“ Mannschaften und Athleten blühen kann. Kein Wunder also.

Hört auf die Ethologie, möchte man sagen, dann wäre die Welt ein besserer Ort. SUVs wären als reine Silberrückenautos verboten oder lächerlich, 20jährige Blondinen im Cabrio des midlifekriselnden Glatzkopfes einfach nur lächerlich (ok, das sind sie schon jetzt), und es gäbe keine Kriege mehr: Eher ertragen wir wohl die gedopten, bärtigen Mannweiber und hypermuskulären Kolosse des russischen Sports, als dass wir noch jemals wieder Zeugen des Überfalls auf ein friedliches Land werden möchten, nur weil ein frustrierter Diktator keinen anderen Weg sah, noch einmal den großen Macker zu geben.

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