15 Minuten Blamage für alle! Oder: Relativismus und kein Ende

Die sogenannten „sozialen Medien“ erfreuen sich unter anderem so großer Beliebtheit, weil sie jedem Wesen, das irgendwie Worte mit Tasten zusammensetzen kann, suggerieren, es sei ein Autor, Journalist, Redakteur, Künstler, Fotograf oder was immer das Selbstbild vervollkommnen soll. Das alles kann man als ein Symptom wahrer Demokratisierung und Emanzipation des Individuums betrachten, nämlich als Befreiung von allen Regeln. Subjektiv sein genügt, wahr oder falsch haben ausgedient. Alles ist relativ, alles ist subjektiv, ist individuell, ist töfte! Und wenn die meisten „Posts“ sich nicht an Banalität überböten, wäre immerhin bisweilen ein gewisser Unterhaltungswert auf der positiven Seite der Bilanz zu verbuchen.

Den langweiligen Resultaten medialer Aktivität aller kann man noch bequem entgehen, indem man diese Medien meidet. Doch seit der „New Journalism“ Einzug gehalten hat auch in bislang seriöse Redaktionen, ist es auch hier mit dem Qualitätsbegriff nicht mehr weit her. Die subjektiv gefärbte Reportage verzichtet großzügig auf die Darstellung anderer Blickwinkel; der gefühlige Bericht ersetzt das klassische journalistische Aufgreifen von Argumenten zweier oder mehrerer Seiten. Wem noch nicht wohlig warm geworden ist in der Filterblasenwelt, dem wird jetzt höllisch heiß bei der Frage, was eigentlich aus der klassischen Wächterfunktion der unabhängigen Medien wird, wenn sogar hauptberufliche Journalisten und Redakteure nur noch durch ihre eigenen rosaroten Erlebniswelten tänzeln.

Wer hat nochmal gesagt, jedem Menschen kämen 15 Minuten des Ruhmes zu? Es bleibt zu hoffen, dass daraus nicht 15 Minuten Blamage für jeden werden – denn das Internet vergisst nie, wie schon der alte Lao-Tse immer sagte (oder wer war das noch?).

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